12.12.2017_Vertigo Posaunen Quartett

Nils Wogram (Posaune, Melodica)
Andreas Tschopp (Posaune, Blockflöte)
Bernhard Bamert (Posaune)
Jan Schreiner (Bassposaune, Tuba)

Kein anderes Musikinstrument weist eine derart starke Ähnlichkeit zur menschlichen Stimme auf wie die Posaune. Im Jazz wirkt das große Horn vielleicht streckenweise etwas weniger wendig als vergleichsweise Trompete und Saxofon. Nur ein Posaunist, der sich des vokalen Zaubers seines Instruments voll bewusst ist, wird ihm seinen ganzen Zauber entlocken. Dass Nils Wogram ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Blasrohr hat, das weit über die jazztypische Phrasierungspedanterie hinaus geht, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. In Bands wie Root 70, Nostalgia und seinem Septett, wie auch in Duos mit Conrad Bauer, Simon Nabatov oder Bojan Z. hat er ganz unterschiedliche Zugänge zur Posaune an den Tag gelegt.

Mit anderen Worten, Nils Wogram ist mit allen Posaunenwassern gewaschen. Wer wollte ihm auf diesem Instrument noch etwas vormachen, könnte man fragen. Ihn selbst verlangt es indes nach immer neuen Herausforderungen, sich auf seinem Instrument auszudrücken. Wenn er sich nun mit drei anderen Posaunisten zu einem Quartett vereint, klingt das streckenweise wie ein Chor mit vielen überraschenden Stimm- und Stimmungswandeln. Doch darum allein geht es ihm nicht, denn über das naheliegende rein Chorische wollen Wogram und seine drei Kompagnons Jan Schreiner, Bernhard Bamert und Andreas Tschopp bewusst hinausgehen.

Nun drängt sich bei einem Visionär wie Wogram eine Konstellation wie das Posaunenquartett mit seinem sakral antikem Charme keineswegs auf. Doch gerade das leicht angestaubte Image des Posaunenquartetts reizte ihn, sich diesem Thema aus einem ganz anderen Blickwinkel zu nähern. Dass eine Band mit vier Posaunisten nicht so sehr auf ihn selbst als Frontsolisten fixiert ist, mag dabei nur einer von mehreren Aspekten sein. Der Mangelsdorff-Preisträger hatte zwar seinerseits schon lange die Idee, ein solches Ensemble auf die Beine zu stellen, aber Jan Schreiner kam ihm zuvor. „Es braucht eben jemanden, der das in die Hand nimmt“, so Wogram, „Jan wollte anfangs Stücke für uns in Auftrag geben, aber Bernhard Bamert und ich wollten dem Quartett lieber unsere eigene Handschrift geben. Es gibt ja schon einige Posaunenquartette, deren künstlerisches Level aber oft recht niedrig ist. Meistens geht es nur darum zu zeigen, was sie auf der Posaune alles spielen können. Einen weiterführenden künstlerischen Anspruch findet eher man selten. Eine Ausnahme war vor vielen Jahren das Projekt Slide Ride mit vier Individualisten. Bei uns ist der Individualismus vielleicht nicht ganz so ausgeprägt, uns ging es mehr um einen echten Ensemblesound.“

In der Tat ist der Zugang des Vertigo Trombone Quartets vergleichsweise untrombonistisch. Zwar sind alle vier Mitglieder bekennende Posaunisten, aber es erklingen auch Flöte, Tuba, Melodika oder Handclaps. Im akustischen Zusammenspiel gelingt es ihnen, elektronische Effekte zu suggerieren, das Feuer einer Rhythm Section zu synchronisieren und die Möglichkeiten der Posaune von speziellen Lufteffekten über Dämpfer bis zum Beatboxing auszunutzen. Wogram wollte die Posaune auf diese Weise in einen ganz neuen Kontext stellen. „Als Posaunist wird man in der Brass Band, im Posaunenchor und im Blasorchester sozialisiert. Vier Posaunen zusammen klingen so wunderbar harmonisch und verbindlich weich. Die meisten Posaunisten sind auch sehr soziale Typen. Diese Homogenität kann aber auch schnell langweilig werden. Mein Ziel bestand darin, so ein Quartett mal anders zu gestalten. Jeder von uns hat einen ganz eigenen Sound. Daraus können wir doch etwas machen. Wenn jeder die Chance hat, sich mit seinem persönlichen Ansatz zu integrieren, bleibt es frisch, und man kann sich die verschiedenen Stile zueigen machen.“

Nils Wogram bekennt sich auch mit diesem Kontext unumwunden zum Lustprinzip. Er hatte einfach Lust, mit diesem Quartett neues Terrain zu betreten und zu sehen, wie weit er damit gehen kann. Dass seine drei Gefährten ganz andere Hintergründe haben als er selbst, macht das Abenteuer für die beteiligten wie für den Hörer umso eindringlicher. Der gestalterische Bogen schlägt extrem weit aus, die Prämissen der Hauptkomponisten Wogram und Bamert sind recht gegensätzlich, und doch oder gerade deshalb findet die Musik zu einer organisch stringenten Suite zusammen. Wogram ist über diesen Effekt selbst erstaunt. „Bernhard ist viel mehr auf der Seite der E-Musik, ich habe eher Stücke im Sinne des Jazz geschrieben, aber letzten Endes ist die Haltung entscheidend, mit der wir die Stücke umsetzen. Wenn man nicht in Kategorien wie Perfektion und Leistung denkt, sondern versucht, das Maximum aus der Musik zu holen, gibt es eine Chance, eine echte künstlerische Aussage zu treffen.“

Vertigo Trombone Quartet // Developing Good Habits
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Release Date: 02.05.2014

„Developing Good Habits“ ist ein waschechtes Vier-Posaunenalbum, dessen Protagonisten nicht in die Posaunenfalle tappen, sondern den inneren Zirkel verlassen und sich verspielt und lebensnah an den ganz normalen Hörer mit einem breiten Spektrum an Vorlieben wenden. Ein ebenso inspiriertes wie gestaltungsfreudiges musikalisches Menü, das nur eben ausnahmsweise nicht in typischer Jazz-Besetzung, sondern reich garniert auf vier Posaunen gereicht wird. Denn am Ende geht es wie immer um nichts anderes als unerhörte Musik.

nilswogram.com